Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 95: Vom Aus-der-Spur-Springen

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 95

 

Vom Aus-der-Spur-Springen

Holocaust-Mahnmal, Berlin

„Es gab früher in Böhmen eine blühende Industrie, die eingegangen zu sein scheint: man nahm Kinder, schlitzte ihnen die Lippen auf, presste ihnen den Schädel zusammen und setzte sie Tag und Nacht in eine Kiste, um ihr Wachstum zu verhindern. Durch diese und ähnliche Behandlungen machte man aus ihnen sehr amüsante und höchst einträgliche Missgeburten. Um Genet zu machen, hat man ein subtileres Verfahren benutzt, aber das Ergebnis ist das gleiche: man hat ein Kind genommen und aus Gründen sozialen Nutzens eine Missgeburt daraus gemacht. Wenn wir in dieser Sache die wahren Schuldigen finden wollen, wenden wir uns am besten den anständigen Leuten zu und fragen sie, aus welcher merkwürdigen Grausamkeit heraus sie aus einem Kind ihren Prügelknaben gemacht haben.“ 
(Jean-Paul Sartre)

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“
(Max Horkheimer: Die Juden in Europa)

Jan Philipp Reemtsma hat ein sehr lesenswertes Nachwort zum Adorno-Text „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ geschrieben, den der Suhrkamp-Verlag gerade noch einmal in einer neuen Ausgabe herausgebracht hat. Diesen hatte Adorno 1962 zunächst auf einer pädagogischen Konferenz vorgetragen, der Hessische Rundfunk hatte ihn aufgezeichnet und in zwei Teilen gesendet. Mir ist der Text zum ersten Mal in dem Suhrkampbändchen „Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft“, der 1971 erschienen ist, begegnet und lebensgeschichtlich bedeutsam geworden.

Reemtsma erinnert zunächst daran, dass Antisemitismus Teil eines Syndroms ist, was soviel besagen soll: Wer Juden hasst, hasst in der Regel auch Homosexuelle, Frauen, sozial Schwache, Schwarze und andere Minderheiten. Der autoritäre Charakter, dessen Studium sich die Kritische Theorie bereits in den USA zugewandt hatte, liefert die Disposition für dieses Konglomerat von Einstellungen.  … weiter

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Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 71: Die Schlange, der Riss und der Tod

 

Götz Eisenbergs Durchhalteprosa 71

 

Die Schlange, der Riss und der Tod

„Dummheit ist von allen nachwachsenden Energien die zuverlässigste.“
(Sten Nadolny)

Auf dem Alten Friedhof saß ein junger Mann auf einer Bank und fütterte die Eichhörnchen, „meine“ Eichhörnchen. Sie wuselten in größerer Zahl um ihn herum und schienen vertraut mit ihm. Bei mir stellten sich umgehend Eifersuchtsgefühle ein. Als er sah, dass auch ich Nüsse mit mir führte, fühlte er sich bemüßigt Äußerungen zu tätigen, die seine Priorität in Sachen Eichhörnchen-Fütterung betonten. „Heute bevorzugen sie Erdnüsse“, sagte er. Wie zur Bestätigung wurde eine von mir ins Spiel gebrachte Walnuss ignoriert und einfach liegen gelassen. Er nahm das als Beleg für seine größere Vertrautheit mit den Tieren. Er behauptete nun, dass die Eichhörnchen 95 Prozent der von ihnen vergrabenen Nüsse nicht mehr wiederfänden. Feldversuche hätten das ergeben, er habe entsprechende Studien gelesen. Ich bezweifelte diese hohe Fehlerquote, ganz so dämlich und vergesslich seien die Hörnchen nicht. Ich konnte aber wissenschaftlich nichts gegen seine Behauptung aufbieten. Er beharrte auf seinen Zahlen und wiederholte sie eins ums andere Mal.

Der junge Mann gab sich als Mitglied einer Verbindung zu erkennen, die ihr Hauptquartier direkt neben dem Friedhof hat. Ich habe unter dem rechten Augen eine Narbe, die von einer Jochbeinverletzung herrührt, die er aber für einen „Schmiss“ hielt. Er fragte, ob ich einer schlagenden Verbindung angehörte. Als ich verneinte und meine tiefe Abneigung gegen solche Vereinigungen zum Ausdruck brachte, ging unser Gespräch schnell zu Ende. … weiter
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