Die große Sommeroffensive…

Der Kommentar zum Zeitgeschehen

von Jürgen Scherer

… läuft demnächst an und wird wie immer sehr nützlich sein. Für die einen so, für die andern so. Und bestimmt werden wieder mal wohlwollend positive Bilanzen gezogen werden. Wobei ich eigentlich gar nichts gegen diese Spektakel habe. Schließlich haben sie eine durchaus akzeptable Funktion: Endlich mal wieder entspannen, endlich mal wieder den Alltag hinter sich lassen, endlich mal wieder die pure Freude und meistens Glückshormone ohne Ende, auch wenn es mal zwischendurch nicht so klappt, wie gewünscht – auf jeden Fall ziemlich entspannte durchaus sorglose Zeiten. Zeiten, in denen einem die da oben mit ihrer Politik gestohlen bleiben können. Einfach mal Ruhe vor den nächsten Stürmen, die unweigerlich auf einen zukommen werden.

Den Auftakt macht die Fußballeuropameisterschaft in unserem Land, nach kurzer Verschnaufpause gefolgt von den Olympischen Spiele in Paris und nach wieder kurzer Pause der Wiedereinstieg in die neue Bundesligasaison; diesmal definitiv ohne Darmstadt aber mit St. Pauli.

Jedes Ereignis für sich aller Ehren wert und durchaus fangeschätzt. Aber die Häufung ist das m.E. Bedenkliche: Vom Mitte Juni bis Mitte August quasi ununterbrochener Fernsehkonsum mit Aufregfaktor, Bibbergarantie und Werbespots ohne Ende und kaum Zeit sich zu kümmern um das Gemeinwohl, um das, was auf der politischen Bühne passiert, was jede/n irgendwie betrifft. Vor lauter Sporttaumelei für nichts mehr so recht empfänglich, was den konkreten Alltag angeht.

Mithin eine willkommene Festivalzeit für die politisch Entscheidenden, denen das Prinzip „Brot und Spiele“ weder unbekannt ist noch ungelegen kommt. Spiele die auf den ersten Blick unscheinbaren aber hochwillkommenen Ablenkungshelfer bei nicht so erwünschten Entscheidungen; das ist das Zuckerbrot, das Politiker in ihren Vorhaben manchmal schneller voranbringt als die eine oder andere Angstkampagne.

Nehmen wir die Fußballeuropameisterschaft: Klar, es geht um den fairen Wettkampf von Nationen. Zugleich aber geht es um die Pflege des nationalen Zusammenhalts, möglichst der Züchtung von Stolzerlebnissen und der Förderung von Identitätserlebnissen mit dem eigenen Land – alles Tugenden, die im derzeitigen politischen Umfeld gerne gesehen sind. Denn auf ihr Land stolze BürgerInnen werden wohl eher bereit sein, sich auch für andere Ziele ertüchtigen zu lassen. Wir sollten allerdings den alten Spruch nicht aus den Augen verlieren: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz!“

Kommen wir zu den Olympischen Spielen. Die Völker der Welt kommen zusammen, um ein Fest der Freude und des fairen sportlichen Wettkampfes zu feiern. Alle Völker? Nicht alle. Und schon wird sie verraten die ursprüngliche Idee der Spiele: Sich zu treffen, die Waffen ruhen zu lassen und vielleicht sogar zu Lösungen für anstehende Probleme zu nutzen. Die Welt feiert den Sport. Aber nur die Guten dürfen teilnehmen und die weniger Bösen, die richtig Bösen aber nicht. Die müssen auf die Strafbank. Pech gehabt. Wer nicht hören will, muss fühlen. Schwarze Pädagogik in Reinkultur! Aber das Hauptziel wird erreicht werden: Feier des jeweiligen „WirGefühls“. Ablesbar am Medaillenspiegel, der „UNS“ zeigen wird, wo „WIR“ stehen in der großen weiten neutralen Sportwelt. ESCmäßig sind „Wir“ ja schon mal ins Mittelfeld hochgerutscht. Geht doch. WIR werden schon noch wieder wer.

Und unsere Sportministerin wird das Hohelied des völkerversöhnenden Sportes singen, an das dann Herr Pistorius mit seinen Kriegsertüchtigungsparolen nahtlos anknüpfen kann. Wer im WIRgefühl schwelgt, dessen Herz ist sicher auch bereit in den Krieg zu ziehen. Fragt sich allerdings: Für wen und wofür?


Jürgen Scherer ist ehemaliger Lehrer für Geschichte und Politik an einer hessischen Gesamtschule und GEW-Mitglied. Er schrieb früher für das Magazin Auswege, jetzt für seinen Nachfolger – das GEW-MAGAZIN.
Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

 

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